Sicher durch die Turnstunde: Ein Leitfaden zum Helfen und Sichern im Gerätturnen

Fairplay Sporthandel Sven Lange
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Sicher durch die Turnstunde: Ein Leitfaden zum Helfen und Sichern im Gerätturnen - Turnspaß ohne Risiko: Helfen und Sichern im Geräteturnen

Turnen ohne Hilfestellung oder Sicherheitsstellung ist nicht denkbar! Um ein angstfreies, aber auch sicheres Turnen in der Schule oder im Verein anbieten zu können, sind vertrauensvolle Hilfe- und Sicherheitsstellungen unabdingbar. Diese erfolgt einerseits über die gut informierte Lehrkraft, den oder die gute informierte/n Trainer/in, andererseits durch die Turnerinnen und Turner selbst – sowohl in der Schule als auch im Verein.

Sicherheits- und Hilfestellungen gab es schon im Jahr 1811, als das Turnen erfunden wurde. Als Turnen Ende des 19. Jahrhunderts zum verpflichtenden Schulfach wurde, betraf das zunächst die Jungen, die von Männern unterrichtet wurden. Als dann aber auch Mädchen in der Schule turnen mussten, wurde dies zum Problem, so dass 1894 ein Erlass dafür sorgte, dass Mädchen von Turnlehrerinnen unterrichtet werden mussten.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Jungen und Mädchen sittlich getrennt unterrichtet. In den 1980er Jahren kam der koedukative Unterricht in die deutschen Sportunterrichte, wobei in der Regel während der Pubertät immer noch getrennt unterrichtet wird. Die aufkommende Problematik mit Männern, die Mädchen helfen und Frauen, die Hilfestellung bei Jungs geben, ist ein eigenständiges Thema, das ich unter dem Beitrag [...] Berührungen und Sexualisierte Gewalt im Sport behandelt habe.

Helfen und Sichern erfordert besondere Kenntnisse

Diejenigen, die Hilfestellung oder Sicherheitsstellung anbieten, müssen bestens informiert sein, wann, wie und mit welchem Ziel dies erfolgen soll. Daher ist es auch notwendig, die Kinder bereits im Grundschulalter an das Helfen und Sichern heran zu führen. Vertrauen  ist dabei zusammen mit Verantwortung das zentrale Stichwort, das muss gegeben sein oder erarbeitet werden.
Die Literatur unterscheidet neben Helfen und Sichern noch die sogenannte Bewegungsbegleitung. Was verbirgt sich hinter diesen drei Unterscheidungen:

  • Helfen ist der aktive, zielgerichtete Prozess der Unterstützung eines Bewegungsablaufs (durch Personen oder Materialien).
    Bei der Personenhilfe unterscheidet man die aktive körperliche Hilfe sowie akustische oder taktile Hilfen;
    Beispiel: Von Beginn der Bewegung an mit Klammergriff am Oberschenkel in den Handstand helfen
  • Von Bewegungsbegleitung spricht man, wenn die Hände der Hilfestellung den Bewegungsablauf am Körper des turnenden Kindes ohne aktive Unterstützung begleiten;
    Beispiel: Zu Beginn der Bewegung nicht zugreifen, sondern erst, wenn erkennbar wird, dass das Kind nicht in den Handstand kommt
  • Sichern ist dagegen die abwartende Bereitschaft zur Unterstützung, wenn Unterstützung (aufgrund von Problemen) notwendig wird (vgl. Gerling, 1997, S. 20).
    Beispiel: Kind turnt, Sicherheitsstellung sichert Handstandposition oder greift zu, falls die Arme einknicken.
    Sichern umfasst, wie das Helfen, ebenfalls den Einsatz von Materialien.


Helfen können sich Kinder untereinander, Sichern ist dagegen nur mit genügend Vorerfahrung, sprich jahrelanger Erfahrung, wirklich leistbar.
Wer Helfen und Sichern möchte, muss das entsprechende turnerische Element, um das es geht, sehr gut kennen. Hilfe bieten dabei zwei Bücher: Für die weiterführenden Schulen und Vereinsübungsleiter das Buch Doppelstunde Turnen und für einfachere Elemente wie Handstand oder Rad das Buch Turnen in der Primarstufe. In beiden Büchern werden die Hilfestellungen zu den Elementen auch entsprechend erläutert.

Helfergriffe

Die Helfergriffe setzen in der Regel am Rumpf an, wenn dies nicht möglich ist, setzen sie rumpfnah an. Als Helfer ist darauf zu achten, dass möglichst wenige Gelenke zwischen Rumpf und Helfergriff liegen und dass die Helfer nicht auf ein Gelenk greifen. Auch ein Gelenk zwischen den helfenden Händen, also etwa der griff am Oberarm und Unterarm, ist zu vermeiden.

Und an dieser Stelle sei eines ganz deutlich gesagt: Helfergriffe, die am Po (bspw. bei Kippen) ansetzen oder an der Brust (wie bspw. beim Salto) stützen, sind nicht akzeptabel. Egal ob Mann oder Frau, ob Kind, Jugendlicher oder Erwachsener. Wer dort greift, ist ein Grabscher und gehört aus der Turnhalle verbannt – ohne Ausnahme.

Egal, ob die Mädchen und Jungen zu einer solchen Hilfestellung zugestimmt haben oder nicht. Es geht immer anders, auch wenn es schwerer ist. Das ist die Aufgabe von Trainern und Pädagogen, sich zur Not weiterzubilden. Und alle Eltern, Turnerinnen und Turner sind dazu aufgefordert, solche Hilfestellungen nicht zu akzeptieren und die Problematik offen anzusprechen!

Die einzelnen Griffe werden an dieser Stelle nicht erläutert, diese sind in den genannten Büchern zu finden und Inhalt einer jedweden Turnausbildung an der PH, der Uni oder bei den Verbänden.

Rahmenbedingungen des Helfen und Sicherns

Aber es reicht nicht, genau über das Element und die Helfergriffe Bescheid zu wissen, es ist auch notwendig, Rahmenbedingungen des Helfen und Sicherns zu kennen. Hierzu zählen

  • Zeitpunkt der Hilfe
  • Wahl des Standorts
  • Blickkontakt / Körperkontakt / Einzählen / Konzentration / Ablenkung
  • Eigene Körperhaltung
  • Kleidung, Haare, Schmuck und Kaugummi

(vgl. u.a. Gerling 1997, Lange 2015).

Zeitpunkt der Hilfe

Wer Hilfe gibt, sollte ich im Klaren darüber sein, zu welchem Zeitpunkt die Hilfe exakt notwendig ist. In der Regel sind es die Aktionen, die unmittelbar zum Gelingen des Elements beitragen, also etwa bei der Hüftstreckung während der Felgrolle, der Moment des Handaufsatzes bei Überschlagbewegungen.

Wahl des Standorts

Es ist nicht unerheblich, ob man beim Sprung vor oder hinter dem Sprungtisch steht, bei der Felgrolle die Länge des abrollenden Kindes miteinberechnet oder bei den Schaukelringen die Schwungausladung vor dem Salto Abgang berücksichtigt – oder eben nicht. Daher vorher genau überlegen, wo man sich positionieren muss!

Blickkontakt / Körperkontakt / Einzählen / Konzentration / Ablenkung

Die  angebliche Multitasking-Fähigkeit von Erwachsenen entwickelt sich beim Helfen und Sichern schnell zum Problem. Wer hilft, richtet seine volle Aufmerksamkeit auf die Person, der geholfen wird. Wer turnt, will sicher gehen, dass der Helfer auch da ist. Blickkontakt, etwa beim Anlauf am Sprung, taktiler Kontakt bei Rückwärtsbewegungen oder Einzählen auf dem Trampolin symbolisiert „Ich bin jetzt für dich da – und zwar nur für dich“. Wenn dabei noch mit einem anderen Kind gesprochen wird, ist die Aufmerksamkeit nicht beim turnenden Kind – und genau so empfindet dieses das auch.

Eigene Körperhaltung

Eigene Körperhaltung? Was geht das den Helfer an, Hauptsache, das Kind wird richtig gesichert. Wer Rückenprobleme bekommt, findet bei uns die richtigen Sportgeräte, um diese zu therapieren. 
Nein, der Helfende soll explizit auf seine eigene Körperhaltung achten. Wer Personen mit 500kg aufwärts sichert und das bis 67 durchhalten soll, muss darauf besonders achten. Heben aus den Beinen, Rücken gerade halten – aktive Rückenschule tagein, tagaus. Daher auch bei der Wahl des Standorts darauf achten, dass keine Dreh-Scherbewegung in der Wirbelsäule notwendig ist. Andernfalls ist dann eben doch die Physiotherapie gefragt.

Kleidung, Haare, Schmuck und Kaugummi

Schmuck und Kaugummi haben in einer Turnhalle nichts verloren. Weder Kettchen, Armbänder, Uhren, Ringe noch Ohrringe oder Ohrstecker sind erlaubt. Ja, ganz richtig, auch Ohrstecker, denn sie werden bei schnellen Bewegungen der Turnenden zu kleinen Waffen und damit zu einem Risiko für die Helfenden.

Piercings sind wie Schmuck zu handhaben, auch am Bauchnabel. Hüftumschwung am Reck, nicht sauber an der Hüfte angesetzt und das Piercing wickelt sich mit um die Stange.
Liebe Übungsleiterinnen und Übungsleiter, Trainerinnen und Trainer, Lehrerinnen und Lehrer: auch ihr müsst eure Uhren, Ringe, Ohrringe und Piercings ausziehen oder abkleben. Vorbild sein, Sicherheit gewährleisten. Es ist immer wieder überraschend, wie viele hochrangige (Landes-)Trainer es gibt, die Schraubensalti am Boden, als Abgang  oder bei der Airtrackbahn mit Uhr an der Hand gehalten haben. Das muss doch wirklich nicht sein!

Lange Haare werden im Sport grundsätzlich zusammengebunden, beim Turnen aufgrund von Überkopf-Positionen und schnell eingreifender Hilfestellung ist dies besonders wichtig.
Ob die Kleidung nun turnspezifisch ist oder nicht, ist im Grunde egal. Aber ein glatter Stoff wie bei Basketballhosen ist zum Helfen einfach ungeeignet. Weite Kleidungsteile sind auch nicht gerade ideal, die wickeln sich gerne mal um die helfende Hand.

Zuletzt die Fußbekleidung: Liebe Turnerinnen und Turner, hört endlich auf, barfuß zu turnen oder gar barfuß Trampolin zu turnen. Zweiteres ist extrem gefährlich, und barfuß turnen ist nicht nur unhygienisch, sondern verschmutzt auch eure Turngeräte. Riecht doch mal an einer Rollmatte, auf der ihr euer Aufwärmen durchführt oder schaut mal den Schwebebalken genau an, wie schwarz dieser wird. Die vierzig Euro für ein paar vernünftige Kunstturnschuhe oder alternativ Stoppersocken, sollten noch investierbar sein. Skifahren oder Golf spielen kostet deutlich mehr. Außerdem dämpfen die Kunstturnschuhe Kraftspitzen, das spart euch den Physio.

Literaturhinweise

  • Gerling, I. (1997). Kinderturnen. Helfen & Sichern. Aachen: Meyer & Meyer.
  • Lange, S. (2015). Turnen in der Primarstufe. Schorndorf: Hofmann. [...] mehr
  • Lange, S. & Bischoff, K. (2009). Doppelstunde Turnen. Schorndorf: Hofmann. [...] mehr
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